4.090 Gramm, 54 Zentimeter. Von Traummaßen war die Rede. Ein kräftiges, gesundes Kind. Das war vor über 4 Jahren.
Heute fällt meine große Tochter bei den routinemäßigen Untersuchungen regelmäßig auf. Übergewichtig sei sie mit ihrem BMI von über 18. Und jedes Mal betreiben wir wieder Ursachenforschung für ihren „gesunden Appetit“ und ihre „schweren Knochen“.
Ohne Erfolg. Warum?
Ein Urteil ist schnell gefällt
Niemand bestreitet, dass sie schwer ist. Wer sie hochheben will, wird überrascht und setzt zwei Mal an. Aber ob ein Kind fett, adipös, übergewichtig oder nur schwer ist, kann kein Maßband und keine Waage herausfinden.
Dazu gehört mehr. Dazu gehören die Beschäftigung mit dem Speiseplan, Untersuchungen des Ess- und Bewegungsverhaltens, eine Körperfettanalyse, eventuell eine Blutuntersuchung und psychologische Beratung.
Mithilfe des BMI-Modells, das von Frau Dr. Kromeyer-Hauschild von der Universität Jena entwickelt wurde, können Kinder schnell in einer Perzentilenkurve verortet und verglichen werden. Grundlage sind die Daten von je etwa 17.000 Jungen und Mädchen im Alter von 0 bis 18 Jahren, die von 1985 bis 1999 in 17 verschiedenen Untersuchungen erhoben wurden.
Der BMI sollte jedoch nie allein Anlass für ein schnelles Urteil sein – auch nicht von ausgebildetem Personal.
Ich bin weder Ärztin noch Ernährungswissenschaftlerin und behaupte dennoch: Mein Kind ist nicht übergewichtig! Denn eines wird bei diesen Untersuchungen stark vernachlässigt: Kinder wachsen nicht nach Tabellen und Kurven. Es sind Menschen, die in ihrer Vielfalt kaum messbar sind. Sie bringen ihr ganz eigenes Set an Voraussetzungen mit. Und die können ganz anders sein. Schwerer, kleiner, größer, leichter, dünner oder kräftiger.
Wir sollten damit aufhören Kinder in Tabellen zu pressen, sondern uns auf deren individuelle Stärken konzentrieren. Ein schwereres Kind kann vielleicht besonders gut Judo oder durch den Wald flitzen. Es muss nicht per se dünner werden.
Ob ein Kind krankhaft zu schwer ist, sollte nicht daran gemessen werden, wie leicht oder schwer die anderen Kinder sind. Denn damit hat das eventuell übergewichtige Kind nichts zu tun.
Immer wieder versuchen Forscher einen Zusammenhang zwischen dem Geburtsgewicht, dem Gewicht in der frühen Kindheit und dem späteren Risiko für Krankheiten wie Diabetes oder Depression herzustellen. Bisher scheinen sich noch keine konkreten Erkenntnisse durchgesetzt zu haben, schließlich werden Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder noch nicht flächendeckend auf Diät gesetzt.
Diagnose „übergewichtig“, aber keine Hilfe
Mir persönlich fehlen die Hilfen in diesem Fall. Mehrfach wurde das mögliche Übergewicht unserer Tochter festgestellt. Nie kam jemand auf die Idee, uns diesbezüglich zu beraten.
Auf MEINE Initiative hin wurde eine Blutuntersuchung gemacht oder haben wir psychologische Beratung in Anspruch genommen. Beides verlief übrigens ohne Befund.
Heute würde ich nicht mehr jedem Test, der z.B. im Kindergarten angeboten wird, zustimmen. Sollte ich dies vielleicht noch in meine Liste der Dinge aufnehmen, die ich heute anders machen würde?
Natürlich gibt es auch Kinder, die tatsächlich übergewichtig sind und wofür es auch objektive Gründe wie schlechte Ernährung, Krankheiten, Vernachlässigung, psychische Belastungen oder zu wenig Bewegung gibt. Aber wenn dies wirklich der Fall gewesen wäre, hätte uns bis heute niemand aktiv geholfen.
Diese ständige Thematisierung macht krank
Wenn man das Essverhalten und die Figur eines Kindes permanent thematisiert und in den Vordergrund holt, kann sich die Fixierung auf das Thema verstärken und einen Teufelskreis auslösen. Sie hat schon immer gut gegessen, aber deshalb ständig übers Essen bzw. Nicht-Essen reden. Nein! Ich habe genug vom dauernden Bullshit-Bingo, dass andere besser wüssten, was meinem Kind gut tut!
Durch die ständige Thematisierung besteht die große Gefahr einer Essstörung. Das haben allerdings die Personen nicht auf dem Schirm, die unsere Tochter darauf ansprechen oder intervenieren.
Unser Kind ist kräftig und gesund. Und nun wünsche ich mir Ruhe zu dem Thema und keine weiteren Verdachtsdiagnosen, die z.B. von Ärzten im Kindergarten ohne Hintergrundwissen zu unserer Tochter und ohne unser Beisein geäußert werden.
Sie soll unbeschwert und ohne derartige Restriktionen aufwachsen. Wie eine Kindheit eben sein sollte.
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Übrigens habe ich auch schon einmal bei Julia von Frieda Friedlich einen Gastartikel zu unserer Geschichte geschrieben: Mein Kind ist nicht zu dick.
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Da würd ich mich auch nicht verrückt machen lassen.
Finde es auch blöd, wenn z.B. Übergewicht festgestellt wird – es dann aber keine Beratung oder Hilfsangebote gibt. Das ist doch dann total überflüssig!?
„Aber ob ein Kind fett, adipös, übergewichtig oder nur schwer ist, kann kein Maßband und keine Waage herausfinden.“
Wirklich? So richtig deutlich wird mir nicht, warum das nicht gehen sollte. Klar gibt es Kinder an der Grenze zu Übergewicht und auf ein paar Gram zu viel herumzureiten ist Quatsch.
Aber es gibt eben auch die Kinder deutlich darüber. Ernährung wie Bewegung spielen eine große Rolle – beides Dinge an denen man arbeiten kann – auch ohne Kinder auf Diät zu setzen.
In unserem Fall sehe ich das anders. Sie ist schwer, ihr BMI schon immer auffällig. Sie schont sich nie
Heute ist sie mit 4 Jahren 10km durch Rom mit mir gelaufen. Aber sie bleibt schwer. Schätze mal, das sind alles Muskeln. Solche Fälle gibt es eben auch.
Mein Sohn wurde ebenfalls mit 4.000 Gramm geboren. Er ist mit 4 1/2 so groß wie manches Schulkind. Trägt Gr. 122-128 und Schuhgröße 33! Er ist auch schwer, aber trainiert und sehr sportlich. Da wurde noch nie was gesagt zum
Gewicht. Warum auch? Er ist offensichtlich groß und sportlich. Man sieht ja schon bei Kindern ob es dicklich ist oder einfach Größe und das Kind vllt breiter gebaut ist als ein anderes.
Hallo,
Meine 1. Tochter wird mit 4830g und 55cm geboren. Sie ist heute 4 und 112cm groß und wiegt 20kg. Ihre Größe und Gewicht waren immer über „normal“, ja und? Sie ist sportlicher und aktiver als jedes andere Kind dass ich kenne, isst für ihr leben gerne Gemüse, Sie ist glücklich und kern gesund, das ist doch die Hauptsache! Bei meiner 2. Tochter das selbe Spiel in grün und ich bin stolz darauf. Lasst euch nicht unterkriegen!
Liebe Grüße,
Julia
Danke! Ja, die Gene sind eben unterschiedlich 🙂
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Man darf sich als Mutter wirklich in vielen Dingen nicht so schnell von den „Experten“ verunsichern lassen. Wo du das grade mit Kindergarten schreibst. ich weiß auch noch das mein Sohn grad mal 2 Wochen im Kindergarten war als da so eine Sprachheilbeauftragte kam, die der Ansicht war mein Sohn (der auch spät mit sprechen anfing, dafür aber zb schon mit 9 Monaten laufen konnte) sollte am Besten sofort mit Logopädie anfangen. Tja und da habe ich einfach mal auf mein Bauchgefühl gehört, denn ich war der Meinung, dass er doch erst jetzt mit dem Kindergarten alles weiter entwickeln würde und genau so war es auch.
Und seit dem lasse ich mich auch nicht mehr so schnell von anderen Menschen beeinflussen sondern vertrauen in vielem einfach meinem Mamainstikt.
Liebe Sina,
danke für Deinen Kommentar. Ich finde, es hört sich immer so leicht an, aber wenn „Experten“ kommen, wird es doch manchmal echt schwer. 🙂 Dieses Selbstbewusstsein muss sich bei jeder Mutter und jedem Vater erst entwickeln. Beim 2. Kind wird es schon wesentlich leichter. Am besten holt man sich immer eine zweite Meinung oder die beste Freundin, die schon Kinder hat, dazu. 🙂
Liebe Grüße, Diana
Ich kann dich voll versehen. Das ist schlimm, ständig auf das Thema angesprochen zu werden und es bleibt immer etwas hängen – auch bei dem Kind. Dabei sollte das Thema Gewicht in dem Alter doch überhaupt keine Rolle spielen. Wie du schon sagst, kann es vielleicht dadurch erst zu essstörungen kommen. Mein Sohn ist immer an der unteren Grenze was Gewicht und Größe betrifft und auch ich nehme mir das zu Herzen. Dabei weiß ich, dass das Quatsch ist. Lass dich nicht stressen, du machst alles richtig.
LG Anke
Ja, leider steht bei den meisten Kommentatoren zu dem Thema bei uns mehr im Vordergrund, dass das Kind irgendeinem Standard entspricht, als dass man es so sein lässt, wie es ist. Nämlich völlig okay! Lieben Dank für deinen Kommentar. Ich denk, beim Untergewicht gibt es am Ende ähnliche Mechanismen, die dem Kind langfristig schaden können, wenn man es mit dem Thema übertreibt. LG