Eltern haben Sorgen und Ängste, wenn es um ihre Kinder geht, die allein die Welt entdecken. Sie wollen ihre Kinder vor möglichen Gefahren schützen. In „Wild World“ erklären Julia Dibbern und Nicola Schmidt, wie Eltern ihre Kinder entspannt, sorgenfrei und bestärkt in unsere wilde Welt loslassen können.
Aufbau und Stil des Buches
Das Buch umfasst insgesamt 9 Kapitel. Jedes Kapitel hat einen klassischen, redaktionierten Teil, der sich mit Dialogen von Julia und Nicola abwechselt. In diesen Dialogen erzählen sie aus eigener Erfahrung und mit passenden Beispielen zum jeweiligen Thema das Kapitels. Am Ende jedes Kapitels geben die Autorinnen den Eltern konkrete Tipps zum Anwenden des gelesenen Inhalts.
Worum gehts?
Annährung an das Thema
Auf den ersten 80 Seiten geht es um eine Einstimmung auf das Thema. Diese Einstimmung hilft dem Leser sich selbst und die eigene Einstellung zu reflektieren. Wer zum Beispiel Angst hat, der lernt schnell, dass diese Angst Eltern im Umgang mit ihren Kindern nicht hilft. „Angst lähmt nur und hält uns in Untätigkeit gefangen.“ (S. 25) Stattdessen sollten wir uns in Zuversicht üben: „Denn nur mit Zuversicht können wir genau hinsehen und echte von eingebildeten oder eingeredeten Gefahren unterscheiden, klar denken und kluge Wege einschlagen.“ (S. 26)
Im weiteren Teil der Einstimmung gehen die Autorinnen auf die Resilienz einer Familie ein. Wie gut Familien mit Herausforderungen umgehen können und daraus lernen, stärkt auch die Problemlösungsfähigkeit von Kindern und genau diese Fähigkeit ist essentiell für das selbstständige Zurechtfinden in unserer Welt.
Am Ende der Einleitung geht es um die eigene Reflektionsfähigkeit in Bezug auf die Kinder. Diese Gedanken fand ich sehr spannend, da sie mir konkret geholfen haben, mich und meine Denkweise zu verstehen und zu hinterfragen.
Die Autorinnen plädieren für mehr Vertrauen und Optimismus und dafür, weniger von einem Fall auf alle zu schließen: „Ja, es gibt traumatisierte Kinder, ja, es gibt hilflose Erzieher und inkompetente Lehrerinnen. Aber das ist beileibe nicht das Gros. Wenn wir uns dessen bewusst sein, dass die Welt da draußen im Großen und Ganzen besser ist als ihr Ruf, ist es auch leichter, die Kinder in sie hinein zu lassen.“ (S. 66) Die Reflektion unserer eigenen subjektiven Wahrnehmung nennen sie den „Nordstern“, an dem wir uns gemeinsam orientieren werden.
7 Sachen, die Kindern nützlich sein könnten
Im Kapitel „7 Sachen“ werden die 7 Ausrüstungsgegenstände angesprochen, die Kindern bei der Entdeckung der Welt nützlich sein können. Es geht für uns Eltern also darum, zu verstehen, was wir unseren Kindern mitgeben oder bereits mitgegeben haben, um sich allein zurecht zu finden. Unser Bewusstsein für diese Grundlagen erhöht gleichzeitig das Vertrauen in unseren Umgang mit den Kindern, aber auch in die Kinder selbst.
Neben dem Durchhaltevermögen, dem Selbstwert, inneren Frieden und einer guten Bindung werden Vertrauen, Mut und Humor aufgezählt. Die 7 Sachen unterliegen dabei keiner Priorisierung. Sie sind alle gleichermaßen wichtig.
Vertrauen
Natürlich ist Vertrauen essentiell, um Kinder loslassen zu können. Kinder brauchen unser Vertrauen in sie, um sich Herausforderungen zu stellen. „Wir können unseren Kindern vertrauen, weil es starke Kinder sind und weil Kinder dafür gemacht sind, in die Welt hinauszuziehen.“ (S. 86) Es klingt so einfach und das ist es auch.
Mut
Kinder brauchen Mut und „Kinder brauchen Räume, in denen sie sich und ihren Mut, ihre Fähigkeiten und ihre Ideen ausprobieren können.“ Wir sollten ihnen also Raum für Risiken geben. Die Autorinnen erwähnen eine Studie dazu: „Die Forschung zeigt, dass Kinder weniger Risiken eingehen oder gefährliche Mutproben machen, wenn sie klettern, surfen oder Feuer machen dürfen.“ (S. 104) So lernen die Gefahren einzuschätzen.
Humor
Warum Kinder Humor brauchen, leuchtet vielleicht nicht auf den ersten Blick ein. Humor ist aber unglaublich wichtig, denn er hilft auch in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. „Wenn wir gemeinsam über etwas lachen, führt es außerdem dazu, dass wir uns einander näher fühlen – ein positiver Kreislauf […].“ (S. 120)
Wild Kids: helfen sie wachsen zu lassen
In diesem Kapitel geht es vor allem darum, wie wir unseren Kindern helfen können an der Welt zu wachsen.
Grenzen setzen und lernen
Wir sollten unseren Kindern nicht blind vertrauen, sie überschätzen und einfach losschicken á la „wird schon gut gehen“. Es gibt auch Grenzen und diese sind für beide Seiten extrem wichtig. Grenzen sollten immer emphatisch und niemals willkürlich und aus einer Laune heraus gesetzt werden. Das klingt einfach, aber mir rutscht das Wort „Nein“ auf eine Frage manchmal recht schnell raus, wenn ich einfach nur meine Ruhe haben will. Mich dann ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen und abzuwägen, ob ich es meiner Tochter zutraue, kostet Kraft.
Die Autorinnen betonen, dass Kinder unsere Hilfe beim lernen von Grenzen brauchen. „Grenzen lernen bedeutet nichts weniger als: die eigenen Grenzen zu spüren und das zu kommunizieren und die Grenzen der anderen spüren und damit umzugehen.“ (S. 126) Anschließend erklären sie in 6 Schritten wie wir Eltern Grenzen setzen und für mich sind diese Schritte auch die Quintessenz des Buches, denn genau da liegt immer wieder unser Konfliktpotenzial in der Familie. Auf nur 4 Seiten erklären die Autorinnen, wie wir empathisch Grenzen setzen, aber für mich fühlt es sich unglaublich schwer an, dies im Alltag auch zu immer schaffen. Übung macht bekanntlich die Meisterin!
Freundschaften
Oft habe ich meine eigenen Gedanken im Buch wiedergefunden und war dadurch ganz interessiert an der Meinung von Julia und Nicola. Zum Beispiel beim Thema Freundschaften gibt es bei meiner großen Tochter immer mal wieder ein trauriges Gesicht, wenn sie aus der Kita kommt, weil sie mit anderen Kindern Streit hatte oder sie vom Spielen ausgeschlossen wurde.
Im Buch habe ich gelernt, dass Kinder Freundschaften nicht automatisch lernen, da ihnen das Spielen in altersgemischten Gruppen fehlt: „Sie lernen es nicht von allein. Sie haben es sich schon immer von Größeren abgeguckt.“ (S. 147f.)
In 7 Punkten erklären die Autorinnen am Ende, wie Eltern die Freundschaften ihrer Kinder unterstützen können. Mein persönlicher Lernpunkt: „Freundschaft vorleben: Lassen wir die Kinder dabei sein, wenn wir unseren Freunden kleine Geschenke machen, sie zum Essen einladen, ihnen zuerst den Nachtisch hinstellen – und organisieren wir die Kinder nicht immer mit dem Babysitter weg.“ (S. 155)
Umgang mit dem Medienkonsum unserer Kinder
Dieser Punkt beschäftigt sicherlich viele Eltern. Das eine Extrem von Eltern sagt, dass Kinder unbedingt neue Medien ausprobieren sollten und schon früh ein eigenes Smartphone brauchen und die anderen wollen das genaue Gegenteil und Kinder möglichst lange von Bildschirmen generell fernhalten. Ich tendiere eher zu letzterem, aber wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.
Und das sagen auch Julia und Nicola in ihrem Buch. Sie zitieren einerseits Studien über die negativen Auswirkungen von zu viel Bildschirmzeit wie Konzentrationsstörungen und Hyperaktivität und geben andererseits zu bedenken, dass wir mehr hinschauen sollten, was die Kinder eigentlich in ihrer Zeit an Bildschirmen tun. Schließlich macht es einen Unterschied, ob ein Kind durchweg Angry Birds zockt oder ob es etwas liest, damit es später einen Roboter bauen kann, oder?
„Wenn Eltern sich viel selbst per Bildschirm sedieren, ist es kein Wunder, wenn Kinder es ihnen gleich tun. Wenn Kinder hingegen erleben, das Computer zum Arbeiten und Erschaffen benutzt werden, werden sie eher ganz von selbst diese Haltung übernehmen.“ (S. 159)
Beim Medienkonsum unserer Kinder sollten wir also unsere Ängste loslassen und mehr Vertrauen. Julia und Nicola geben am Ende des Kapitels wieder gute Tipps, wie dies gelingen kann, z.B. ganz einfach Mitschauen und Fragen beantworten oder starke Alternativen zum Bildschirm bieten wie Feuer, Klettern oder Bauen.
Wild Parents: Bist Du schon entspannt?
Das vorletzte Kapitel besteht aus 12! Hilfestellungen, um als Eltern entspannt zu bleiben und die Kinder gehen zu lassen. Hier wird sicherlich jede/r Leser*in Aspekte finden, die er/sie noch verinnerlichen kann.
Für mich sind es vor allem diese 3:
- Angst aushalten: Meine Kinder sind noch klein, aber deswegen brauchen sie dennoch ihre Freiräume. Meine Ängste sind oft übertrieben. Nun übe ich mich im Durchatmen und innehalten und nutze diesem Moment meine Angst zu bewerten. Die Kinder gehen allein durch den Garten und ich denke mir: „Ja, sie können hinfallen, aber das heilt wieder. Ja, die Große kann vom Kletterbaum fallen, aber das letzte Mal hat sie sich auch gut gefangen. Die Regentonnen habe ich abgedeckt, so dass keine Gefahr besteht, dass jemand hineinfallen kann. Beruhige Dich. Es wird alles gut. Sie brauchen diese Entdeckerzeit jetzt allein.“
- Fehlertoleranz: Damit Kinder eine Sache immer und immer wieder probieren und irgendwann spitze darin werden, müssen wir eine gewisse Fehlertoleranz aushalten. Nicht nur beim Kletternüben, auch am Essenstisch. „Das kann jedem mal passieren“, ist mein neues Mantra.
- Catch them being good: Damit meinen die Autorinnen, dass wir nicht nur darauf schauen sollten, was die Kinder mal wieder schlechtes oder verbotenes tun, sondern während sie ganz friedlich spielen oder etwas lesen. Schau hin, wenn es gut läuft. So lernen Eltern zu Vertrauen und das führt zu einem positiven Kreislauf. Simpel eigentlich oder?
Zusammenfassung zu „Wild World“
„Wild World“ ist ein Elternratgeber für alle Eltern, die das Gefühl haben, dass unseren Kindern immer weniger zugetraut und Zeit zum Entdecken gegeben wird. Ich empfehle dieses Buch allen, die dieser Entwicklung entgegen steuern wollen. Das Alter der Kinder ist dabei eigentlich egal. Schon in der Schwangerschaft werden wir mit unseren Ängsten konfrontiert und ab der Geburt müssen wir uns im Abnabeln bzw. Loslassen üben.
Ich persönlich habe aus dem Buch mitgenommen, dass meine Sorgen eine Daseinsberechtigung haben, meine Kinder aber stark und optimal auf all ihre Herausforderungen vorbereitet sind und sein werden, wenn ich ihnen das richtige Rüstzeug mitgebe (siehe 7 Sachen).
Aber natürlich: Wenn Loslassen einfach wäre, dann bräuchte es kein Buch darüber geben…
Infos zum Buch
Autor: Julia Dibbern, Nicola Schmidt
Verlag: Beltz
240 Seiten
Hardcover
Hier kannst Du das Buch kaufen*.
Weiterlesen
Über die Angst sein Kind zu verlieren
Wie ich mir die Zukunft meiner Kinder erträume
Die Kindheit muss beschützt werden
Im Buch finden sich wieder Verbindungen zu Slow Family* von Julia Dibbern.
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Wie geht es Dir mit dem Loslassen? Gelingt es Dir gut oder gibt es da Baustellen? Lass gern einen Kommentar da!
Klingt schon mal spannend, habe das Buch bestellt.
Gruß Andreas
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