26 Jahre lang habe ich mir in irgendeiner Form Gedanken gemacht, wie es sein wird, Kinder zu haben. Angst hatte ich davor keine. Ich dachte, das wird schon irgendwie gut werden. Und schon als meine Tochter den eδrsten Atemzug nahm, wusste ich, dass nichts mehr so sein wird, wie jemals zuvor. In diesem Artikel teile ich sehr intime Gedanken über meine Angst mein Kind zu verlieren.
Ich bin generell kein sehr ängstlicher Typ. In den Jahren vor meinem Kinderwunsch bin ich viel gereist. Allein, mit Partner, in Entwicklungsländer oder auch mal mehrere Monate. Nichts davon hat mich abgeschreckt, kein Risiko zu groß. Ich wollte die Welt sehen, neue Erfahrungen machen.
Und plötzlich war die Angst da
Als wir die erste Nacht mit unserer großen Tochter zu Hause waren und sie trotz Schlafanzug, Schlafsack und Decke kaum warm zu kriegen war, nahmen wir sie, trotz gegenteiligen Empfehlungen mit in unser Bett. Sie lag zwischen uns umgeben von einem Stillkissen. Und als sie da so selig schlief und ich jeden Atemzug registrierte, dachte ich, dass ich in meinem Leben nie wieder schlafen werde. Wie könnte ich dieses kleine Wesen je unbeaufsichtigt lassen?
Nach etwa 3 Wochen schlief sie in ihrem eigenen Bett. Es folgten viele Wochen mit Albträumen, nach denen ich schweißgebadet aufwachte, panisch die Bettdecke durchwühlte auf der Suche nach meinem Baby. Dabei redete ich wirres Zeug oder fragte meinen Mann, wo unsere Tochter sei. Ich stellte dann fest, dass sie ganz ruhig in ihrem Bettchen schlief.
Als ich meiner Freundin nach weiteren 2 Monaten davon berichtete, erzählte sie mir, dass es ihr genauso ging. Plötzlich wurde mir klar, dass ich panische Angst hatte, mein Kind an den plötzlichen Kindstod zu verlieren. Dieses unbegreifliche Phänomen, das uns hoffentlich niemals treffen würde.
Eine Lösung musste her
Meine Freundin, eine Ärztin, empfahl mir ein Babyphone mit Atemüberwachungsmatten*. Nicht, weil es mein Kind überwacht und so bei Atemaussetzern tatsächlich Alarm schlagen würde, sondern weil es mir ein besseres Gefühl geben würde. Und so investierten wir die etwa 140 Euro. Da wir noch kein Babyphone hatten, war es eine gute Investition. Und tatsächlich konnte ich wieder schlafen. Die Angst war zwar noch da, aber ich hatte einen Weg gefunden, damit umzugehen.
Die Angst hat mein Leben nachhaltig verändert
Die Angst mein Kind zu verlieren, zeigt sich bei mir auch in einem ausgeprägteren Risikobewusstsein. Seit ich Mutter bin, wäge ich jede Flugreise – ob mit oder ohne Kind, jede lange Autofahrt ab. Seit ich Mutter bin, gehe ich vergleichsweise wenig Risiken ein. Nicht nur die Angst, mein Kind zu verlieren, sondern auch die Angst, mein Kind allein zurückzulassen, ist für mich immer präsent.
Diese fiesen Schreckensmomente
Sicherlich hat jede Mutter schon mehr als einmal einen kurzen Moment gedacht, dass etwas schreckliches mit dem eigenen Kind passiert ist. Ich wusste einmal einige Minuten nicht, wo genau meine 3-Jährige auf dem Spielplatz war. Es waren die längsten Minuten meines Lebens.
Meine Tochter war plötzlich weg, niemand hatte sie gesehen. Der Spielplatz ist nicht umzäunt, ganz in der Nähe ist ein Teich und ein größerer Fluss. Ich rannte und rannte, aber nirgendwo eine Spur von ihr. Ich rief sie, keine Antwort. Ich hatte Panik, musste aber versuchen, zu denken, alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, denken wie sie.
Nach einigen Minuten fand ich sie. Unter einem Dach eines Klettergerüsts, mucksmäuschenstill spielte sie dort im Sand.
Ich wollte sie am liebsten anschreien und schütteln, warum sie nicht geantwortet hatte, als ich nach ihr rief. Sie saß ja nur ein paar Meter von mir entfernt. Aber ich nahm sie einfach nur in den Arm und weinte. Ich weinte vor Glück, dass ich mein Kind nicht verloren habe, dass alles nochmal gut gegangen ist.
Diese Erfahrung klingt so harmlos, zeigt doch aber wie tief diese Angst sitzen kann.
Aber manchmal ist der Verlust unvermeidlich
Und dennoch weiß ich, dass nicht alle Familien dieses Glück haben. Wenn ich davon lese, schnürt es mir die Luft ab. Ein Gefühl, dass ich ohne Kinder nie kannte. Oft kann ich die Geschichten von schwer kranken oder verunglückten Kindern nicht zu Ende lesen. Das nimmt mich zu sehr mit.
Ich weiß nicht, wie es ist ein Kind zu verlieren und dennoch beschäftigt es mich. Mal mehr mal weniger.
Ich bin so dankbar, dass wir so ein unbeschwertes Familienleben leben dürfen. Auch wenn ich weiß, dass es keine Garantie gibt, dass es für immer so bleiben wird, versuche ich jeden Moment aufzusaugen und in mein Gedächtnis zu brennen. Für irgendwann, wenn ich sie brauche.
Die Angst DARF mich nicht beherrschen
Die Angst sein Kind zu verlieren, ist sicherlich für jede Mutter die größte Angst auf Erden und ich weiß, dass sie mich nicht beherrschen darf. Dennoch muss ich meine Kinder loslassen können, ihre eigenen Erfahrungen machen lassen. Das ist nicht immer leicht, aber ich denke, es gelingt mir dennoch gut.
Unsere Kinder gehören uns nicht. Sie sind ein Teil von uns, aber eigenständige Individuen von Anfang an. Wir müssen mit ihnen leben oder ohne sie. Mit den Kindern, die uns geschenkt wurden, ohne die Kinder, die es nicht bis zu uns geschafft haben oder ohne die Kinder, die wir nicht lange begleiten durften.
Ich LASSE mich nicht von meiner Angst beherrschen
Vor kurzem liefen wir über unseren Friedhof und kamen auch an den Gräbern der Kinder vorbei. An ihnen hingen mit Helium gefüllte Ballons, so dass meine kleine Tochter darauf zeigte. Meine Knie wurden weich und ich musste mich kurz sammeln. Einen älteren Menschen zu Grabe tragen, was an diesem Tag der Anlass unseres Besuches war, ist etwas ganz anderes als ein Kind zu begraben.
Das ist nicht der natürliche Verlauf, die vorgesehene Reihenfolge. Vielleicht ist sie auch deswegen für uns Eltern so unvorstellbar. Es ist einfach nicht vorgesehen in unserem elterlichen Programm.
Hilfe suchen
Die Angst vor dem Unbegreiflichen kann sicherlich einmal stärker werden. Dazu kann es Anlässe oder Auslöser geben. Solange diese Angst nicht unser Leben beherrscht, mag sie natürlich und sicherlich auch hilfreich sein, damit wir unsere Kinder schützen. Aber wenn sie uns und unsere Kinder einschränkt, dann sollten wir uns Hilfe suchen. Eine gute Freundin, die Hebamme, eine Therapeutin oder ein Arzt können eine erste Anlaufstelle sein.