In Deutschland gilt die Schulpflicht. Für mich ist sie erzwungene Bildung, quasi Schulzwang. Denn wer nicht in die Schule geht, wird dazu gezwungen. Ob und was jemand lernen will, hat derjenige auch nicht zu entscheiden. Er wird gezwungen zu lernen, er bildet sich nicht freiwillig. Er wird gebildet.
In der Beschäftigung mit der auch für uns bald sehr präsenten Schulpflicht habe ich jedoch so einige Bedenken. Und das sind:
1. Die Schulpflicht passt nicht zu unserem Wertesystem
Niemand wird gerne zu etwas gezwungen. Zwang ist in Deutschland verboten. Niemand darf etwa gezwungen werden, einen bestimmten Job zu machen oder jemanden zu heiraten. Unser Wertesystem sagt, dass jemand nur zu etwas gezwungen werden kann, wenn er gegen ein Gesetz verstoßen hat und dafür verurteilt wird. Es wird eine Strafe verhängt. Dies setzt aber ein aktives Zutun voraus, beispielsweise eine Tat wie das Stehlen oder Lügen unter Eid.
Unser Wertesystem sagt auch, dass niemand aufgrund seines Alters, seiner Herkunft oder Rasse anders behandelt und diskriminiert werden darf. Kinder hingegen werden aufgrund ihres Alters dennoch anders behandelt. Sie werden verpflichtet bzw. gezwungen eine Schule zu besuchen.
Diese Art des Zwangs und der Bevormundung würde aber nur Sinn ergeben, wenn es stichhaltige Beweise gäbe, dass Kinder in dieser Altersgruppe nicht in der Lage wären, sich selbst zu bilden und eigenverantwortlich zu handeln. Tatsächlich gibt keine Beweise dafür, dass alle Kinder eine Gefahr für sich darstellen oder unfähig sind sich selbst zu bilden.
2. Schule ist undemokratisch
Unser Staat, unsere Arbeitsweise und jeder Verein sind demokratisch.
So gibt es Arbeitnehmervertretungen und Parlamente. Überall dürfen Menschen, die einem System angehören, mitbestimmen.
Kinder und Jugendliche gehören zwangsläufig dem BildungsSYSTEM und dem System Schule an. Sie dürfen aber weder darüber bestimmen, was sie lernen oder wann sie lernen, noch wie sie lernen. Andere wie ihre Lehrer oder manchmal sogar unbeteiligte Dritte wie das Kultusministerium, entscheiden über ihre Köpfe hinweg. Mitbestimmung Fehlanzeige!
Schule ist also in der Regel undemokratisch und bereitet so rein gar nicht auf das spätere Erwachsenenleben vor.
3. Schule zerstört die Eigenverantwortlichkeit von Schülern
Unsere Gesellschaft nimmt mit dem Schulzwang an, dass Kinder unfähig sind verantwortlich zu handeln oder eigene Entscheidungen zu treffen. Irgendwann behaupten leider auch Kinder selbst und deren Eltern, dass sie dies nicht könnten. Es ist eine selbst erfüllende Prophezeiung. Damit zerstört Schule allerdings eigenverantwortliches Handeln und das Erlernen dessen.
Im Umkehrschluss wird Kindern und deren Eltern vermittelt, dass wenn Kinder in der Schule alles „ordentlich“ machen, würden die Kinder erfolgreich im Leben. Somit hören sie aber auf, tatsächlich Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Sie können die Verantwortung stattdessen auf die Schule abwälzen, die ihnen schon sagt, was es zu lernen gäbe oder worin man gut sein müsse.
4. Schule zerstört die intrinsische Motivation
Kinder lernen in den ersten Lebensjahren das Laufen, ihre Muttersprache, soziale Interaktionen, Grenzen und Gefahren allein durch das Spiel und den gemeinsamen Alltag.
Niemand muss ihnen einen Vortrag halten, wie etwas gemacht wird. Niemand muss ihnen in einem Buch zeigen, was Emotionen sind. Kinder lernen von ganz allein, 24 Stunden am Tag. Sie sind intrinsisch motiviert, brauchen also keine Anreize von außen.
In der Schule werden Kindern Dinge und Zusammenhänge erklärt, nach denen sie weder gefragt, noch zu dem sie in den allermeisten Fällen überhaupt einen Bezug haben. Sie werden gezwungen, etwas zu lernen. Dieser Zwang zerstört jegliche intrinsische Motivation.
5. Schüler bekommen Angst, werden zynisch und lernen zu betrügen.
In den meisten Schulen gibt es Bewertungen von Lernern durch Noten, Bestrafungen oder gezieltes Bloßstellen. Bewertungen sollen motivieren, führt aber oft zu Angst, Zynismus sowie Betrug und Mogelei.
Schüler verstehen schnell, dass es weniger ums Lernen von etwas geht, sondern darum, das System zu umgehen mit und ohne zu betrügen. Mittlerweile betrügen sogar die besten Schüler am meisten. Sie haben den größten Druck perfekt zu sein, um auf die besten Hochschulen zu kommen.
6. Mobbing und Egoismus werden gefördert
Mobbing und Narzismus unter Schülern haben massiv zugenommen. Das System Schule selbst trägt daran eine Mitschuld, denn Schule vermittelt Egoismus. So darf man anderen Schülern nicht zu viel helfen, ohne dabei selbst zum Betrüger zu werden.
Gegenmaßnahmen wie Antimobbingkurse funktionieren oft nicht, da die Grundstruktur von Schule erhalten bleibt. Einfach einen neuen Kurs anzubieten, in dem Wissen vermittelt wird, reicht hier nicht aus. Außerdem haben Opfer kaum Rechte, denn es gibt keine Gesetze gegen Mobbing in Schulen, keine Rechtsprechung oder Strafen.
7. Kreatives Denken ist unerwünscht
In Schulen ist Kreatives Denken und das Infragestellen unerwünscht. Mit diesem Verhalten sieht der Lehrer sich meist kritisiert und in seinem Fortschritt im Lehrplan behindert.
Schüler verstehen schnell, dass sie für eine gute Note nicht alles wissen müssen, sondern nur das, was der Lehrer hören will. Meist wird auch nur ein Lösungsweg vorgegeben, alle anderen sind nicht erwünscht oder werden sogar als falsch eingestuft.
8. Das Gießkannenprinzip erstickt Leidenschaft
Jeder, der mehr als Kind hat, weiß wie unterschiedlich selbst Geschwister sein können. Sie haben unterschiedliche Stärken, Interessen und Fähigkeiten. in Schulen bekommen jedoch alle das gleiche vermittelt. Dieses Gießkannenprinzip reduziert so Vielfalt. Es entstehen kaum leidenschaftliche und nachhaltige Fähigkeiten. Eigene Interessen werden in Schulen nicht gefördert. Und wer nicht richtig mitmacht, wird zum Störenfried degradiert oder bekommt eine Diagnose, z.B. ADHS)
Natürlich weiß ich, dass es mittlerweile auch ganz tolle Schulen gibt, in denen vieles anders gemacht oder zumindest versucht wird. Leider ist das nicht die Norm und ändert auch nichts an einigen meiner Punkte.
Auch weiß ich, dass viele nun denken, dass es doch keinen Sinn macht, das System zu hinterfragen und zu kritisieren, da wir eh nichts daran ändern können. Doch! Wenn wir andere Schulen, Schulformen oder Änderungen der Rahmenbedingungen fordern, gar nicht zur Schule gehen und freilernen lassen, dann wird das wahrgenommen. Von Lehrern, Schulleitern, Jugendamtsmitarbeitern, anderen Eltern und Leser*innen!
Was also tun?
Ich persönlich denke, dass viele dieser Punkte schon dadurch verschwinden würden, wenn wir die Schulpflicht abschaffen und stattdessen eine Bildungspflicht einführen würden wie in vielen europäischen Ländern (u.a. Schweiz, Österreich, Belgien, Frankreich, Dänemark) auch. Dies würde zu einem Wettbewerb der Schulen um Schüler führen und so der Qualität gut tun! Wenn Kinder Bildung aus Recht empfänden und gern und freiwillig in eine Schule gehen würden, wäre schon vielen Schülern mit Angst geholfen.
Außerdem sollte meiner Meinung das Schuljahr als auch der Schultag stark gekürzt werden, so dass sowohl täglich als auch am Stück mehr Zeit zum Spielen und Entdecken bleibt. Der Schulstoff sollte ebenfalls gekürzt werden. Oder warum werden alle Kinder mit Lippenblütlern und den Ottonen gequält? Mehr freies Spiel, mehr Bewegung sowie Kunst und Musik sollten auf dem Stundenplan stehen! Es sollte darum gehen Fähigkeiten zu erwerben statt Wissen, dass jeder einfach googlen kann.
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Free to Learn* von Peter Gray
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