Jetzt passiert’s. Ob wir wollen oder nicht.
Am 22.11. um 0.15 Uhr waren wir gerade dabei uns im Bett zurecht zu wurschteln. Ich habe das Licht ausgemacht und es nach einem leisen Plopp und einem „oh oh“ 20 Sekunden später wieder angemacht. Mein erster Gedanke war „Jetzt passiert’s. Ob wir wollen oder nicht, vorbereitet oder nicht, jetzt werden wir Eltern“. Mein Mann war natürlich etwas verdutzt, warum das Licht direkt wieder anging und ich meinte nur „So, jetzt wirst du Papa“.
Ursprünglich wollten wir uns in einem Geburtshaus anmelden. Da es zum errechneten Termin in Leipzig aber genau ein Geburtshaus gab, in dem wir uns zum Kennenlern-Gespräch beide nicht besonders wohl gefühlt haben, haben wir uns für das Nächstbeste entschieden: eine Beleghebamme (Hausgeburt kam für mich im Mietshaus mit 2 Katzen in der Wohnung nicht in Frage). Also habe ich direkt unsere Hebamme angerufen und ihr die freudige Mitteilung gemacht, dass sie heute Nacht nicht schlafen muss. Sie hat mich erstmal in die Badewanne geschickt. Ich solle mich wieder melden, wenn ich das Gefühl habe keine längere Unterhaltung mehr führen zu wollen. Klang für mich etwas komisch, aber wird schon.
Ab in die Klinik
Gesagt getan, nach etwas rumlaufen in der Wohnung und 10 Minuten in der Wanne wusste ich ganz genau, was sie meinte. Da die Belegklinik eine knappe halbe Stunde entfernt ist, kam die Hebamme erst zu uns nach Hause um nach dem Fortschritt und meinem Zustand zu schauen. Gegen 3 Uhr wurde ich dann doch unruhig und habe entschieden, dass wir fahren sollen. Immerhin musste ja noch die Strecke zur Klinik und in den Kreissaal bewältigt werden – Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Die Autofahrt mit Hebamme im Schlepptau war zum Glück überhaupt kein Problem, natürlich auch nicht die Allerbequemste, aber das liegt nun mal in der Natur der Sache.
In der Klinik angekommen kam das erste Schmankerl. 2 Wochen vor dem errechneten Termin war ich dort, um mich anzumelden und Formalitäten zu erledigen. Das hat den Pförtner bei unserer Ankunft nachts um 4 Uhr nicht davon abgehalten ALLES nochmal abzufragen und in den Computer zu hacken. Meinen Wohnort, Familienstand, Konfession, etc. Und das nicht nur von mir, sondern damit es mehr fetzt, das Gleiche auch noch von meinem Mann. Alles. Bis zur Konfession runter. Nach gefühlt 2 Stunden an dem bezaubernden Empfangstresen durften wir dann zum Kreißsaal. Leider war aber kein Selbiger frei und auf Station noch 3 Frauen die auch perspektivisch einen gebrauchen konnten, weshalb wir im Untersuchungszimmer einquartiert wurden. Das war ungefähr 15qm groß, hatte eine winzige Heizung, die natürlich aus war bis wir ankamen und selbstverständlich war die Toilette auf dem Gang, Dusche gab es keine. Nix mit Wassergeburt, Einlauf, großem Bett zum zusammen drauf kuscheln oder Lachgas schnuppern.
Schmerzen in der Leiste
Es folgte ein lustiger Jacke aus – Jacke an – Jacke aus – Tanz und alle 2 Minuten der Wechsel aus dem Raum zur Toilette und wieder zurück, weil ich warum auch immer nur dort halbwegs bequem sitzen konnte. An Liegen war bei mir die ganze Zeit über nicht zu denken. Irgendwelche Bänder in der Leistengegend haben ab Wehenbeginn konstant derartig extrem weh getan, dass unsere Hebamme sehr viel Überzeugungsarbeit leisten musste, um mich dazu zu bewegen mich für 15 Minuten CTG inklusive Akupunktur hinzulegen. Das waren sehr lange 15 Minuten. Mit den Wehen an sich hatte ich gar nicht wirklich Probleme, es waren diese verfluchten Bänder-Schmerzen, die mich wirklich fast um den Verstand gebracht haben, denn die waren durchgängig mit gleicher Intensität da, egal ob Wehe war oder nicht. Ich hatte also während der gesamten Geburt keine Pause. Zwischendurch kam natürlich die obligatorische „Ich will was gegen die Schmerzen“-Phase. Da gab es ein krampflösendes Zäpfchen (oder auch: „was für die Seele“) und weiter ging’s. Fieser Hebammen-Trick.
Presswehen und ein wunderschöner Sonnenaufgang
Irgendwann haben dann die Presswehen eingesetzt. Wann weiß ich nicht, hat mich unter der Geburt nicht interessiert. Ich weiß nur, dass ich froh war, dass es endlich voran geht. Während ich mich da also kniend auf die Liege gestützt durchgequält habe, gab es für uns einen wirklich wunderschönen Sonnenaufgang auf den ich mich in den Pausen konzentrieren konnte. Das war sehr schön. Als es dann ernst wurde, haben wir auf den Geburtshocker gewechselt und ich habe fast 10 Wehen gebraucht von „Haare sind zu sehen“ bis „Kopf war draußen“. Das war so extrem frustrierend. Entsprechend sah das kleine Mäuschen dann auch etwas mitgenommen aus und hat sich mit dem Atmen etwas bitten lassen. Eine kräftige Massage war dann aber doch Argument genug.
Der Kleine ist da, aber woher das viele Blut?
Wir haben es geschafft. Ohne Eingriff, Medikamente oder größere Risse. Glück muss man haben. 8.16 Uhr war unser kleiner Bär dann da und für mich hieß es sofort auf die Liege legen. Es gab besorgte Blicke von Hebamme und Ärztin ob der Menge an Blut, die da floss. Dazu muss man wissen, dass eine meiner größten Ängste bei der Geburt eine Gebärmutterausstülpung/-ruptur war, entsprechend fand ich das – vor allem ob der Tatsache dass die Beiden natürlich ein paar Minuten gebraucht haben bis sie sich auf die Ursache festlegen konnten- überhaupt nicht komisch und konnte mich da auch null auf den Kleinen konzentrieren. Aber als Ursache wurde ein Riss in der Plazenta identifiziert, dann gab es bezauberndes Spray auf sonstige kleinere Risse begleitet von der sich wiederholenden Frage, wann ich denn jetzt endlich fertig bin und meine Ruhe habe.
Ambulant oder stationär?
Als dann soweit alles geschafft war, stand die Frage im Raum, ob wir bleiben oder Heim fahren. Wir würden nur bleiben, wenn das Familienzimmer frei ist. Diese Einschränkung hatte damit zu tun, dass mein Mann zu dem Zeitpunkt schwer krank war und klar war, dass er 2 Tage später wieder zur Chemo für mindestens 2 Wochen im Krankenhaus verschwinden muss. Entsprechend hatte ich a) überhaupt keine Lust irgendwelche fröhlichen, glückseeligen Familien um mich zu haben. Bitte nicht falsch verstehen, ich gönne jedem von Herzen sein Glück und die Freude über den Familienzuwachs. Es gibt nur Situationen, in denen man es nicht so gerne unter die Nase gerieben haben möchte – und b) war es absolut keine Option, dass mein Mann auch nur eine Sekunde weniger bei uns ist als irgendwie möglich. Ich denke der Umstand, dass ich doch mehr Blut verloren hatte als üblich, gepaart mit der Tatsache, dass bekannt war, dass ich zuhause mit dem Kleinen quasi auf mich alleine gestellt bin, hat uns auf der Warteliste fürs Familienzimmer ganz nach oben gerückt. Es war frei und wir haben es bekommen. Dafür waren wir unendlich dankbar, mein Mann war nämlich überhaupt nicht mehr in der Lage nach Hause zu fahren. Der Arme hatte sich gegen 6 Uhr mal kurz auf eine Matte auf den Boden gelegt und war für 10 Minuten eingeschlafen, was ihm heute noch sehr unangenehm ist (wir waren da gerade mal wieder auf der Toilette). Mir war es extrem unangenehm, dass er wach geworden ist, als wir wieder ins Zimmer kamen. Ich hätte ihm von Herzen 1-2 Stunden Schlaf gegönnt. Also ab ins lang ersehnte Bettchen.
Die ersten 24 Stunden – auf einer Wöchnerinnenstation
Ich möchte hier noch die nächsten 24 Stunden mit beschreiben, denn sie gehören für mich zu dem Geburtserlebnis dazu.
Wir waren also gegen 10 Uhr im Familienzimmer und ich konnte endlich mal unser Söhnchen in Ruhe beschauen, mich darüber freuen, dass wenigstens die Geburt problemlos war. Etwas Frühstück stand auch bereit. Danach gab’s ein kleines Nickerchen und dann das Mittagessen. EIN Mittagessen. Für das Familienzimmer mit 2 Erwachsenen. Ja, mein Mann wäre noch nicht angemeldet, das müsse er noch machen. Wir erinnern uns an die Episode nachts um 4 Uhr, als mein Mann seine komplette Lebensgeschichte in alt-aramäisch diktieren durfte. Das war nicht die Anmeldung. Wenn auf der Wöchnerinnen-Station ein Familienzimmer gebucht wird, ist nicht logisch, dass der Mann, der vorher mitgekommen ist (oder sonst ein beliebiger Mensch) da mit gastiert. Also gut, hat mein Mann sich noch angemeldet, damit er künftig vielleicht auch was essen darf.
Kurz mal Licht aus
Es folgte mein erster Toilettengang, den ich brav in Begleitung einer Schwester absolviert habe, was sich als gar nicht so verkehrt herausstellte, denn auf dem Rückweg habe ich Prinzessin gespielt und mich von 3 Leuten tragen lassen. Aber immerhin hab ich dabei toll geträumt. Währenddessen haben die Bauarbeiter auf der anderen Seite des Hofes und im Zimmer über uns fleißig weitergearbeitet und das Stationspersonal hat uns seine Aufwartung gemacht. Ja, es sind noch genug Vorlagen da. Nein, der Kinderarzt war noch nicht da. Ob ich bitte einen Duschhocker haben könnte. Nein, den Duschhocker hat immer noch niemand gebracht. Ja, es sind genug Windeln etc. da. Ah, die Kinderärztin. Und die Stationsärztin. Ja, ich bin umgekippt, Infusion bitteschön, dankeschön. Nein, der Duschhocker ist immer noch nicht da. Ob ich denn das Stillprotokoll schon gesehen und begonnen hätte, ich wolle doch stillen, ja? Bitte mindestens alle 3 Stunden, es gibt auch je eine Spalte für die einzelnen Ausscheidungen von Baby mit Uhrzeit. Wenn Baby nicht trinken will, weil es lieber schlafen will, ruhig ausziehen und Decke weg, so dass es ungemütlich wird und zur Not zur finalen Überredung auch einen kalten Waschlappen an die Füße halten, damit es so richtig munter wird. Bitte was? Das Mäuschen weiß noch nicht mal richtig wie ihm gerade geschehen ist und nach Neonlicht, Gerüchen, Stimmen und Geräuschen fangen wir jetzt auch noch mit Folter an? Ist klar. Ob ich denn schon was ins Stillprotokoll eingetragen hätte, das wäre wirklich wichtig.
Die Lady im Morgengrauen
Die Stillprotokoll-Geschichte ging mir an dem Tag deutlich zu weit, ich war froh, dass ich meinen Namen noch wusste und den Kleinen halbwegs halten konnte.
Ich war abends dann schon relativ genervt von dem ganzen hin-und-her, rein-raus, Baulärm etc. und für mich war klar, dass ich das, wenn es sich so fortsetzt, nicht noch einen Tag mitmache. Die Entscheidungshilfe kam am nächsten Morgen 7.38 Uhr: Ich war gerade nach einem erfolglosen 1,5-stündigen Versuch mein Kind zum Trinken zu bewegen, wieder seit ca. 20 Minuten eingeschlafen. Wir erinnern uns an das Stillprotokoll. Ich habe mich dann natürlich doch unter Druck gesetzt gefühlt. Jedenfalls stand plötzlich eine Frau vor mir im stockdunklen Zimmer und faselte etwas von Spaghetti. Ich dachte erst, ich halluziniere. Aber nein, da stand tatsächlich eine Lady vor mir und rezitierte die Optionen für das Mittagessen für den NÄCHSTEN Tag. Nicht für diesen Tag, den Mittwoch, nein, für Donnerstag, den Tag darauf. Morgens 7.38 Uhr im Dunkeln. Vor irgendeiner Visite oder bevor eine Schwester oder sonstwer den Krankenhaustag eingeläutet hat. Kein “Darf ich Sie kurz stören”, kein Warten bis ich halbwegs ansprechbar bin. Ich habe sie 3 Mal alle Optionen aufzählen lassen und mich dann aus Verzweiflung für die Erste entschieden, obwohl ich selbst davon schon nicht mal mehr wusste, was es war. Mein Mann nimmt das Gleiche.
Und weiter geht der Marathon
Die fleißigen Bauarbeiter haben Punkt 8 Uhr ihr Tagwerk begonnen und da war klar, dass wer auch immer auf der Station die Organisation macht und ich unterschiedliche Auffassungen davon haben, was Erholung nach einer Geburt bedeutet. Also habe ich verkündet, dass wir abreisen. Ich hatte starke Zweifel daran, ob ich zuhause überhaupt die Treppe bis zu unserer Wohnung im 2. Stock hochkomme ohne umzukippen, von Alltag alleine mit einem Neugeborenen mal ganz zu schweigen. Mein Mann ist mit Bärchen zur U1 und ich durfte endlich mal 2 Minuten alleine sein und in Ruhe mein herrliches Mettbrötchen essen. Hallo Frau Physiotherapeutin. Ja, es ist absolut irrelevant, dass ich gerade versuche zu frühstücken, bevor ich gleich zur Abschlussuntersuchung muss. Ich lasse mir jetzt gerne ein paar Rückbildungsübungen zeigen und mache die natürlich auch direkt unter Anleitung. Selbstverständlich lege ich dazu mein Brötchen beiseite, ich bin ein höflicher Mensch. Als mein Mann mit unserem Sohn von der U1 wiederkam hatte ich Rückbildungsübungen gemacht, war bei der Abschlussuntersuchung (habe es gerade noch in der letzten Sekunde wieder aufs Zimmer geschafft, bevor mir die Lichter ausgingen, bloß nichts anmerken lassen) und hatte ein halbes Brötchen gegessen. Nichts wie weg.
Beim nächsten Mal selbstbestimmter!
Als Fazit kann ich sagen, dass ich meine 8-Stunden-0 Komplikationen/Eingriffe-Luxusgeburt gut machbar fand. Bitte nicht falsch verstehen, ich muss das jetzt nicht jeden Tag 2 Mal haben. Ich habe auch kein Problem mit dem Gedanken, noch mehr kleine Mäuse zu bekommen. Rückblickend könnte ich aber beim nächsten Mal vielleicht etwas mehr Egoismus gebrauchen und für mich eintreten, wenn innerhalb von 30 Minuten zum 5. Mal die Zimmertüre aufgeht und irgendjemand irgendwelchen irrelevanten Mist will, aber dazu muss man natürlich erstmal die Kraft und kognitiven Fähigkeiten haben. Sollte es beim nächsten Mal auch kein Geburtshaus werden, würden wir definitiv wieder eine Beleghebamme nehmen (wenn es sowas bis dahin noch gibt). Die 2 Hebammen auf Schicht mussten sich zwischenzeitlich um 5 Frauen gleichzeitig kümmern. Achja, ein Kreisssaal wäre beim nächsten Mal bestimmt auch eine dolle Sache.
Danke Kitty für diesen schönen Geburtsbericht und Deine Sicht auf die ersten 24 Stunden auf einer Wöchnerinnenstation. Alles Gute für Dich und Deine Familie!
Über die Autorin
Kitty ist Ende zwanzig und Mutter des kleinen Bärchens. Meistens hat sie viel zu viele Ideen auf einmal und werkelt an 20 verschiedenen Baustellen, von wilden Erziehungskonzepten über Handarbeit bis zur Unternehmensgründung.
Im letzten Jahr hat ihr das Leben mit der Leukämie ihres Mannes eine Baustelle beschert die sie nie haben wollte. Wie es ihr damit ging verarbeitet sie aktuell auf ihrem Blog.