Viele Familien warten sehnsüchtig auf die Familienstartzeit. Ich sage, dass wir sie gar nicht brauchen, was stattdessen eine sinnvolle Reform wäre und warum die Familienstartzeit sogar dazu führen könnte, dass weniger Väter Elternzeit nehmen.
Was ist die Familienstartzeit?
Die Regierungsparteien haben sich mit mit dem Koalitionsvertrag 2021 darauf verständigt, eine zweiwöchige vergütete Freistellung nach Geburt eines Kindes für den Partner oder die Partnerin der Mutter einzuführen. Es gibt einen Gesetzesentwurf vom März 2023 zu einer zweiwöchigen „Familienstartzeit“ nach der Geburt, welche ähnlich wie der „EU-Vaterschaftsurlaub“ ausgestaltet ist. Derzeit liegt der Gesetzesentwurf wegen Differenzen zur Finanzierung aber seit Juni 2024 wieder auf Eis.
Warum haben wir sie noch nicht?
Die Bundesregierung sieht sich laut eigener Aussage nicht in der Pflicht zur Umsetzung der EU-Richtlinie, denn: sie berufen sich auf Ausnahmeklauseln in Artikel 20 Absatz 6 und Absatz 7 der Richtlinie, welche die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen von der Verpflichtung befreien, einen sogenannten „Vaterschaftsurlaub“ vorzusehen.
Diese Voraussetzungen erfülle Deutschland aufgrund seiner umfassenden Regelungen zur Elternzeit (hinsichtlich der Freistellung) und Elterngeld (hinsichtlich der Vergütung).
Warum sie eventuell trotz des Koalitionsstreits über die Finanzierung kommt
Am 20. September 2022 wurde von der EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, da Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch keine vollständige Umsetzung der bis zum 2. August 2022 umzusetzenden Vereinbarkeitsrichtlinie (Richtlinie 2019/1158/EU) mitteilen konnte.
Außerdem reichte am 21.02.2024 ein Vater Klage beim Landgericht Berlin gegen die Bundesrepublik ein. Vertreten wird er dabei von einem Anwaltsteam aus Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger und Rechtsanwältin Sandra Runge. Durch die Klage macht er den Abgeltungswert des verbrauchten Urlaubs als Schaden gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend.
Wir brauchen keine Familienstartzeit, sondern eine Elternzeitreform nach schwedischem Modell, wenn wir Väter stärker beteiligen wollen.
Diana Leib
Negative Aspekte der Familienstartzeit
Die Familienstartzeit wird viele Väter dazu ermutigen, nur diese 2 Wochen zu nehmen und die Elternzeit nicht zu nutzen, denn: Familienstartzeit 2 Wochen 100% ohne Deckelung vs. Elterngeld 2 Monate 65% mit max. 1.800€ Deckelung.
Viele Väter haben durch die Veränderung bei den Partnermonaten seit 1.4.2024 Probleme die 2 Monate unterzubringen, da sie nicht mehr 2 Monate am Stück Basiselterngeld beziehen dürfen. Die Familienstartzeit wird das noch verstärken, da Elterngeld nur für Lebensmonate bezogen werden kann. Elterngeldmonate können also nicht im Anschluss an die Familienstartzeit genommen werden.
Tatsächlich brauchen eine grundsätzliche Reform der Elternzeit und des Elterngelds, um Väter stärker in die Sorgearbeit einzubeziehen. Die Familienstartzeit ist nur ein kleines Pflaster, das nicht mal im Sinne der Eltern zu sein scheint.
Wie es beispielsweise die Schweden machen:
- Hier bekommen Eltern 480 Tage (15,7 Monate) zusammen „Elterngeld“. Jeweils 90 Tage sind jedem Elternteil einzeln vorbehalten.
- Für 390 Tage werden 80 % des bisherigen Bruttolohns als Lohnersatzleistung gezahlt. Dabei gilt ein Minimalbetrag von 250 SEK (ca. 660€ pro Monat) und ein Höchstsatz von 1012 SEK am Tag (ca. 2.690€ pro Monat), vor Steuern.
- Für die übrigen 90 Tage wird, unabhängig vom Einkommen, eine Pauschale von 180 SEK am Tag (ca. 478€ pro Monat) gewährt.
- Im Gegensatz zum deutschen Modell des Elterngelds können in Schweden die Eltern nur einen Monat gemeinsam in Elternzeit gehen, damit Väter auch über eine längere Zeit alleine für den Haushalt und das Kind zuständig sind. In Deutschland sind es 3 Jahre (ggf. unbezahlt).
- Heute nimmt jeder zweite Vater in Schweden Elternzeit.
- Zudem gibt es für Väter in Schweden zehn Tage bezahlten Vaterschaftsurlaub direkt nach der Geburt des Kindes, die von knapp 80 Prozent der Väter in Anspruch genommen werden.
- Der Anteil der männlichen Elterngeldbezieher an allen Elterngeldbeziehenden, die 2021 ein Kind bekommen haben, lag in Deutschland bei 46 Prozent, wobei die durchschnittliche Dauer bei 3,7 Monaten (Mütter: 14,6 Monate). Quelle
6 Tipps, was Eltern bei der Planung ihrer gemeinsamen Elternzeit helfen kann...
… und wie es ihnen gelingt, nicht ungewollt in traditionelle Rollenbilder zu verfallen:
- Eltern sollten sich nicht nur auf das aktuelle Einkommen bei der Entscheidung für die Verteilung des Elterngelds und der Elternzeit zu fokussieren. So werden Karrieren getötet. Stattdessen sollten sie langfristig denken: wer hat Aussicht auf welchen Posten, Stufenerhöhung, Weiterbildungen etc.
- Aus meiner Sicht sollten sie nicht das Ehegattensplitting nutzen. So lohnen sich Teilzeitarbeit und Gehaltserhöhungen meist bei der Mutter finanziell weniger und sie wird so „klein gehalten“.
- Eltern sollten früh mit den Arbeitgebern der Väter sprechen, um Elternzeiten zu normalisieren.
- Außerdem sollten Arbeitgeber Wiedereinstiegsgespräche mit der Mutter führen und Teilzeitmodelle und Homeoffice besprechen und ermöglichen.
- Sollte Eltern die Kinderbetreuung vorenthalten werden, müssen sie einen Platz einklagen. Wie oft höre ich, dass Mütter ihre Elternzeit verlängern, weil es keinen Kitaplatz gibt. Diese zusätzlichen Monate und Jahre Einkommensverlust wirken sich stark auf Rente und Karrieremöglichkeiten aus.
- Eltern sollten grundsätzlich eine Rechtsschutzversicherung abschließen, die sie bei privaten und beruflichen Angelegenheiten dieser Art entlastet.
Über die Autorin:
Ich berate seit 5 Jahren Mütter, wie sie mehr Elterngeld bekommen und das Beste aus ihrer Elternzeit herausholen.
Ich habe selbst 3 Kinder (inkl. 3 Elternzeiten) und in Absprache mit meinem Mann priorisieren wir seit dem 3. Kind MEINE Karriere.
Was hältst Du von der Familienstartzeit?
Welche Veränderungen wünscht Du Dir in Bezug auf Elterngeld und Elternzeit?
Planst oder bekommst Du Dein 2. Kind?
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