In Zeiten der Pandemie: Wo ist das Dorf?

In Zeiten der Pandemie: Wo ist das Dorf? Artgerechtes Familienleben während der Corona-Krise

Einer dieser langen, anstrengenden Tage während der Corona-Selbstisolation geht zu Ende. Ich falle aufs Sofa und lege meinen Babybauch ab, der sich im 9. Monat so unglaublich schwer anfühlt. Die Kinder drängeln mit dem Abendessen, doch ich werde mich die nächsten 30 Minuten keinen Zentimeter bewegen. Mir grummelt der Magen, die Kinder suchen sich zum Glück eine Beschäftigung. Der Hunger scheint bei ihnen vergessen.

Sind wir nicht alle systemrelevant?

Mein Mann ist noch bei der Arbeit. Sein Job wird mit dem Wort systemrelevant beschrieben, wie es seit ein paar Wochen überall zu hören ist. An dem Tag muss noch eine neue Intensivstation fertig aufgebaut werden. Das ist wichtig. Nun gut. Für meine Kinder bin ich in diesen Tagen und Wochen systemrelevant, obwohl mir gerade gar nicht nach aufstehen und Abendessen machen zumute ist.

Wenn wir nicht mitten in einer Pandemie mit Kontaktsperre leben würden, wäre mein Mann seit einer Stunde zu Hause und ich hätte Feierabend. Wenn wir Verwandte und Freunde treffen würden, dann hätte ich jetzt Hilfe zu Hause. Diese sind für unser System relevant.

Ein afrikanisches Sprichwort besagt: „Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen.“

Ein Dorf unter Quarantäne

Doch dieses Dorf steht gerade unter Quarantäne. Keiner darf sein Haus verlassen. Also was nützt das Dorf, wenn jeder in seinem Haus hocken muss?

Bisher bestand unser Dorf, unser soziales Netzwerk, aus Kitafreunden, Großeltern, Onkel und Großtante, Freunden mit und ohne Kindern, Nachbarn, zufälligen Treffen auf der Straße und Begegnungen in Cafés. Unser Dorf führte zu kinderfreien Tagen und Nächten, ließ uns mal durchatmen und bei gemeinsamen Aktivitäten besondere Erlebnisse stattfinden.

Wir haben mit unserem Dorf immer intensiv kommuniziert, Wünsche geäußert und Bedürfnisse aller befriedigt, so gut es eben ging. Immer wussten wir die Menschen in unserem Dorf zu schätzen und in schwierigen Zeiten an unserer Seite.

Das Dorf ist weg

Doch das Dorf, über das ich bereits geschrieben habe, ist weg. Quasi über Nacht irgendwann im März ist es verschwunden.

Wie wichtig und richtig diese sozialen Kontakte sind und waren, zeigt sich nun vor allem, seit sie nicht mehr bestehen. Plötzlich sind wir in der Isolation. Durch die Pandemie haben sich unsere sozialen Kontakte auf Mama, Papa, die Schwestern, ein paar Skype-Telefonate und dem Winken über den Gartenzaun beschränkt. Niemand traut sich näher als 1,5 Meter aneinander heran. Oft bleibt dabei leider auch das Grüßen und freundliche Lächeln gleich mit aus.

Das Dorf in der Light-Variante

Mittlerweile werden Maßnahmen gelockert. Seit ein paar Tagen treffen wir uns wieder draußen mit Familienmitgliedern und ermöglichen uns allen etwas Normalität. Doch von unserem alten Dorf mit der gegenseitigen Unterstützung sind wir noch sehr weit entfernt. Und dieser Zustand wird sicherlich auch noch eine lange Zeit andauern. Da mache ich mir wenig Hoffnung.

Und natürlich möchte ich auch für unser Dorf da sein. Verwandte und Freunde brauchen Unterstützung, doch mir sind die Hände oft gebunden. Telefonate oder eine Grußkarte müssen zur Zeit reichen. Mein schlechtes Gewissen beruhigt das allerdings nicht.

Wertvolle Geschwisterzeit

In Zeiten der Pandemie bin ich froh, dass sich zumindest unsere Kinder als Spielkameraden haben. Für ein Einzelkind stelle ich mir das fehlende Dorf noch schwerer vor.

Bisher zeigen die Schwestern keine negativen Auswirkungen der seit über 7 Wochen andauernden kitafreien Zeit und Kontaktminimierung. Im Gegenteil scheinen sie als Geschwister sogar stärker zusammengewachsen zu sein. Es gibt weniger Streit und viel gemeinsames Rollenspiel. Die Zeit hat sie zu einem starken Team geformt. Eigentlich uns alle.

Wie sieht es wohl in einigen Wochen aus, wenn dann auch der kleine Bruder noch mitmischt und ein paar Rommérunden weniger gespielt werden können, weil Mama tagsüber mal ein Schläfchen macht?

Wie lange geht es wohl für uns ohne das Dorf gut? Darüber mache ich mir schon oft Gedanken.

Wie gelingt euch der Alltag ohne das Dorf? Auf wen könnt ihr trotz der notwendigen Isolation nicht verzichten?

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